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Wer bin ich? (Nan Yar?)
Die Lehren von Bhagavan Sri Ramana Maharshi
Übersetzung aus dem Tamil-Original von T.
M. P. Mahadevan
Herausgegeben von V. S. Ramanan Präsident
der Treuhändergesellschaft Sri Ramanasraman Tiruvannamalai, Südindien
Anmerkung zur deutschen Übersetzung:
Das englische Wort mind, welches die Gesamtheit aller geistigen Vorgänge
wie Denken, Fühlen, Erinnern, Ich-Bewusstsein, sprich Ego usw. bezeichnet,
wurde im folgenden mit dem deutschen Wort Geist übersetzt. Dieser Geist ist
nicht zu verwechseln mit dem allen Erscheinungen zu Grunde liegenden, immer
existierenden transzendenten "heiligen" Geist, welcher in dem
vorliegenden Text in der Regel als das Selbst bezeichnet wird.
1. Wer bin ich?
2. Wenn ich nichts davon bin, wer bin ich dann?
3. Was ist das Wesen des Gewahrseins?
4. Wann wird das wahre Selbst verwirklicht?
5. Ist Selbstverwirklichung nicht möglich, während die Welt als
Wirklichkeit erfahren wird?
6. Warum nicht?
7. Wann verschwindet die Welt als gesehenes Objekt?
8. Was ist das Wesen des Geistes?
9. Wie geht man bei dieser Selbsterforschung vor, um das Wesen des Geistes
zu verstehen?
10. Wie wird der Geist still?
11. Wie kann man ständig bei der Erforschung "Wer bin ich?"
bleiben?
12. Gibt es keine anderen Mittel den Geist zur Ruhe zu bringen?
13. Die noch vorhandenen Eindrücke (Gedanken) von Objekten bewegen sich wie
Wellen auf dein Ozean. Wann werden sie endlich zur Ruhe kommen?
14. Ist es überhaupt möglich, diese uralten, noch vorhandenen Neigungen
aufzulösen und als das reine Sein zu verbleiben?
15. Wie lange sollte die Selbsterforschung praktiziert werden?
16. Was ist das Wesen des Selbstes?
17. Ist nicht alles das Werk Gottes?
18. Wer ist der Größte unter den Devotees?
19. Was ist Nicht-Verhaftung?
20. Ist es nicht möglich, dass Gott oder der Guru die Befreiung der Seele
bewirkt?
21. Ist es für jemanden, der nach Befreiung strebt, notwendig, die inneren
Zusammenhänge, die Bedeutung und das Wesen der verschiedenen tattvas* zu
erforschen?
22. Was ist der Unterschied zwischen Wachzustand und Traum?
23. Hat Bücherlesen irgend einen Nutzen für diejenigen, die sich nach
Befreiung sehnen?
24. Was ist Glück?
25. Was ist "Weisheits-Einsicht?" (jnana drshti)?
26. Was ist die Beziehung zwischen Wunschlosigkeit und Weisheit?
27. Was ist der Unterschied zwischen Erforschung und Meditation?
28. Was ist Befreiung?
Einleitung
"Wer bin ich?" ist eine Reihe von Fragen und Antworten, die
sich mit der Selbsterforschung befassen. Diese Fragen wurden etwa im Jahre
1902 von Sri M. Sivaprakasam Pillai an Bhagavan Sri Ramana Maharshi
gestellt. Sri Pillai, der ein Philosophiestudium absolviert hatte, arbeitete
zu dieser Zeit in der Finanzabteilung des South Arcot Collectorate. Im
Jahre 1902 besuchte er wahrend einer Geschäftsreise nach Tiruvannamalai die
Virupaksha-Höhle und traf dort den Meister. Er bat ihn um spirituelle
Führung und um Antworten auf Fragen bezüglich der Selbsterforschung. Da
Bhagavan damals nicht sprach - nicht weil er irgend ein Gelübde abgelegt
hatte, sondern einfach weil er keine Neigung zum Sprechen verspürte -
beantwortete er die Fragen in schriftlicher Form. Laut der Erinnerung und
der Aufzeichnung von Sri Sivaprakasam Pillai handelte es sich um dreizehn
Fragen und die entsprechenden Antworten von Bhagavan. Diese Aufzeichnung
wurde erstmals im Jahre 1923 von Sri Sivaprakasam Pillai veröffentlicht,
zusammen mit einigen Gedichten von ihm selbst, die davon handelten, wie
Bhagavan's Gnade ihm damals geholfen hatte, seine Zweifel zerstreute und
ihn aus einer Lebenskrise rettete. "Wer bin ich?" wurde daraufhin
mehrfach veröffentlicht. In manchen Ausgaben findet man dreizehn Fragen, in
anderen achtundzwanzig. Es gibt auch eine andere veröffentlichte Version
ohne die Fragen, in der die Antworten in Form eines Essays wiedergegeben
sind. Die englische Übersetzung (welche die Vorlage für die deutsche
Übersetzung war) stammt aus diesem Essay. Sie ist die Wiedergabe des aus
achtundzwanzig Fragen und Antworten bestehenden Textes.
Zusammen mit Vicharasangraham (Selbsterforschung) stellt Nan Yar?
("Wer bin Ich?") die erste Reihe von Anweisungen des Meisters in
seinen eigenen Worten dar. Neben seinen Lehrgedichten sind diese beiden
Schriften die einzigen Prosastücke von Bhagavan. Sie legen auf deutliche
Art und Weise den Keim seiner Lehre dar, dass die Selbsterforschung der
direkte Weg zur Befreiung ist. Die spezielle Vorgehensweise der
Selbsterforschung wird in "Nan Yar?" genau beschrieben. Der Geist
besteht aus Gedanken. Der Ich-Gedanke ist der erste Gedanke der im Geist
entsteht. Wenn man der Erforschung "Wer bin ich?" dauerhaft und
beharrlich nachgeht werden alle anderen Gedanken aufgelöst, und schließlich
verschwindet auch der Ich-Gedanke, und es bleibt das nicht-duale, wahre
Selbst. So endet die falsche Identifikation des Selbst mit den
Erscheinungen des Nicht-Selbst wie zum Beispiel Körper und Geist, und das
was bleibt ist Erleuchtung, Sakshatkara. Der Prozess der Selbsterforschung
ist natürlich nicht einfach. Wenn man der Frage "Wer bin ich?"
nachgeht, steigen alle möglichen anderen Gedanken auf. Man sollte ihnen
aber nicht nachgehen, sondern stattdessen erforschen: "Wem kommen diese
Gedanken?" Um das zu tun, ist äußerste Wachsamkeit notwendig. Man
sollte durch ständige Erforschung den Geist in seinem Ursprung verweilen
lassen, ohne ihm zu erlauben abzuschweifen und sich in seinen selbst
geschaffenen Gedankenlabyrinthen zu verlieren. Alle anderen spirituellen
Übungen, wie zum Beispiel Atemregulierung und Meditation über die Gestalt
Gottes, sollten als hilfreiche Übungen angesehen werden. Sie sind insofern
nützlich, als sie dem Geist helfen, ruhig und zielgerichtet zu werden.
Für den in Sammlung geübten Geist ist Selbsterforschung einfacher. Durch
ständige Erforschung werden die Gedanken aufgelöst, und das Selbst wird
verwirklicht - die absolute Wirklichkeit, in der es nicht einmal den
Gedanken "Ich" gibt, die Erfahrung, welche als "Stille"
bezeichnet wird.
Das ist im Wesentlichen die Lehre Bhagavan Sri Ramana Maharshi´s in
"Nan Yar?" (Wer bin ich?).
T. M. P. Mahadevan
Universität von Madras
30. Juni 1982
Om Namo Bhagavate Sri Ramanaya
Wer
bin ich? (Nan Yar?)
Alle lebenden Wesen sehnen sich danach, jederzeit glücklich zu sein. Sie
möchten sich vom Leiden befreien, da es nicht ihrer wahren Natur
entspricht. Jedermanns größte Liebe gilt sich selbst, und diese Liebe wäre
in Abwesenheit von Glück nicht möglich. Obwohl im Tiefschlaf nichts
existiert, hat man die Erfahrung, glücklich zu sein. Das Leiden entsteht
nur durch die Unwissenheit über die wahre Natur des eigenen Seins, welches
Glückseligkeit selbst ist. Um diese Glückseligkeit dauerhaft zu erlangen,
muss man sein Selbst kennen. Dazu ist der Weg der Erkenntnis, die
Erforschung in der Form "Wer bin ich?", der direkteste Weg.
1. Wer bin ich?
Der grobstoffliche Körper, welcher aus den sieben Körperflüssigkeiten
(dhatus) besteht, bin ich nicht.
Die fünf erkennenden Sinnesorgane, nämlich das Gehör, der Tastsinn, der
Sehsinn, der Geschmackssinn und der Geruchssinn, welche die entsprechenden
Objekte wahrnehmen, nämlich Klang, Berührung, Farbe, Geschmack und Geruch,
bin ich nicht.
Die fünf handelnden Sinnesorgane, nämlich die Organe der Sprache, der
Fortbewegung, des Greifens, der Ausscheidung und der Fortpflanzung, deren
Funktionen das Sprechen, die Fortbewegung, das Greifen, die Ausscheidung
und das sich Erfreuen sind, bin ich nicht.
Die fünf Lebensströme (prana usw.) welche die entsprechenden Funktionen
(Einatmung usw.) erfüllen, bin ich nicht.
Sogar der denkende Geist bin ich nicht, auch nicht das Unterbewusstsein,
in welchem es nur die verbliebenen Eindrücke von Objekten, aber keine
Funktionen und keine Objekte an sich gibt.
2. Wenn ich nichts davon bin, wer bin ich dann?
Nachdem man alles oben genannte als "nicht dies, nicht das verneint
hat, bleibt nur noch Gewahrsein - und DAS bin ich.
3. Was ist das Wesen des Gewahrseins?
Das Wesen des Gewahrseins ist Sein-Bewusstsein-Seligkeit
(Sat-Chit-Ananda).
4. Wann wird das wahre Selbst verwirklicht?
Wenn die Welt, also das was gesehen wird, verschwindet, dann geschieht
die Verwirklichung des Selbst, welches der Seher ist.
5. Ist Selbstverwirklichung nicht möglich, während die
Welt als Wirklichkeit erfahren wird?
Nein, das ist nicht möglich.
6. Warum nicht?
Der Seher und das gesehene Objekt sind wie das Seil und die Schlange*.
Genauso wie das Wissen über das Seil sich nicht offenbart bevor nicht das
falsche Wissen über die illusorische Schlange beseitigt wird, so wird auch
das Selbst als Grundlage nicht verwirklicht, bevor nicht der Glaube
verschwindet, dass die Welt wirklich ist.
* Dies ist ein im Advaita Vedanta häufig gebrauchtes Gleichnis: Man
sieht im Halbdunkel ein Seil und hält es fälschlich für eine Schlange. Die
vermeintliche Schlange erscheint vollkommen real, aber ihre Existenz ist
rein illusorisch, sie besitzt keine Wirklichkeit.
7. Wann verschwindet die Welt als gesehenes Objekt?
Die Welt verschwindet, wenn der Geist, der die Ursache aller
Wahrnehmungen und Handlungen ist, still wird.
8. Was ist das Wesen des Geistes?
Das, was "Geist" genannt wird, ist eine wundersame Kraft aus
dem Selbst. Durch sie entstehen alle Gedanken. Außerhalb der Gedanken gibt
es keinen Geist. Deshalb sind Gedanken das Wesen des Geistes. Außerhalb der
Gedanken gibt es keine unabhängige Wesenheit die man als Welt bezeichnet.
Im Tiefschlaf gibt es keine Gedanken und auch keine Welt. Im Wachzustand
und im Traum gibt es Gedanken, und ebenfalls eine Welt. So wie die Spinne
den Faden aus sich selbst erzeugt und ihn wieder in sich selbst
zurückzieht, so projiziert der Geist die Welt aus sich selbst heraus und
löst sie dann wieder in sich auf. Wenn der Geist aus dem Selbst hervorgeht
dann erscheint die Welt. Deshalb erscheint das Selbst nicht, wenn die Welt
(als wirklich) erscheint und wenn das Selbst erscheint, dann erscheint die
Welt nicht. Wenn man beharrlich das Wesen des Geistes erforscht, dann löst
er sich auf, und das Selbst allein bleibt. Das, was als Selbst bezeichnet
wird, ist der Atman. Der Geist existiert immer nur in Abhängigkeit von
etwas Grobem, er kann nicht aus sich selbst heraus existieren. Es ist der
Geist, welcher als subtiler Körper oder Seele* (jiva) bezeichnet wird.
* nicht zu verwechseln mit der göttlichen Seele, dem Selbst welches
im Vedanta als Atman bezeichnet wird.
9. Wie geht man bei dieser Selbsterforschung vor, um
das Wesen des Geistes zu verstehen?
Das, was als "lch" im Körper aufsteigt, ist der Geist. Wenn
man nun nachforscht, wo im Körper der Gedanke "Ich" zuerst
wahrgenommen wird, entdeckt man, dass er im Herzen entsteht. Das ist der
Ursprung des Geistes. Auch wenn man ständig dem Empfinden "Ich,
ich" nachgeht, wird man dorthin geführt. Von allen Gedanken, die im
Geist entstehen, entsteht der Ich-Gedanke als erster. Erst nach dem
Entstehen dieses Gedankens entstehen die anderen Gedanken. Erst nach dem
Entstehen des ersten Personalpronomens entstehen das zweite und das dritte,
ohne das erste Personalpronomen gibt es kein zweites und kein drittes.
10. Wie wird der Geist still?
Durch die Erforschung Wer bin ich?" wird der Geist still. Der
Gedanke "Wer bin ich?" lässt alle anderen Gedanken verschwinden
und löst sich am Ende selbst auf, so wie der Stock, mit dem man das Feuer
schürt zum Schluss selbst vom Feuer verzehrt wird. Dann offenbart sich die
Selbstverwirklichung.
11. Wie kann man ständig bei der Erforschung "Wer
bin ich?" bleiben?
Wenn Gedanken aufsteigen, sollte man ihnen nicht nachgehen, sondern sich
fragen: "Wem kommen diese Gedanken?". Es ist ganz egal wie viele
Gedanken kommen. Bei jedem aufsteigenden Gedanken muss man sich beharrlich
fragen Wem ist dieser Gedanke gekommen?". Die Antwort darauf ist Mir.
“Wenn man daraufhin wiederum fragt Wer bin ich?", dann geht der Geist
zu seinem Ursprung zurück, und der aufgestiegene Gedanke kommt zur Ruhe.
Wird diese Übung ständig praktiziert, dann entwickelt der Geist die
Fähigkeit in seinem Ursprung zu verweilen. Wenn der feinstoffliche Geist
durch das Gehirn und die Sinnesorgane nach außen geht, dann erscheinen die
grobstofflichen Namen und Formen; verweilt er in seinem Ursprung, dann
verschwinden alle Namen und Formen.
Den Geist nicht nach außen wandern zu lassen sondern ihn im Herzen
verweilen zu lassen wird als "Innerlichkeit" (antar-mukha)
bezeichnet. Verlässt der Geist das Herz, dann bezeichnet man das als
"Veräußerlichung" (bahir-mukha). Wenn der Geist im Herzen bleibt,
dann verschwindet das Ich, der Ursprung aller Gedanken, und das immer
existierende Selbst erstrahlt. Was immer man auch tun mag, man sollte es
ohne den Ego-Gedanken "Ich" tun. Wenn man so handelt, dann
erkennt man, dass alles vom Wesen her Shiva (Gott) ist.
12. Gibt es keine anderen Mittel den Geist zur Ruhe zu
bringen?
Außer der Selbsterforschung gibt es keine angemessenen Mittel. Wenn man
versucht, den Geist auf andere Weise zur Ruhe zu bringen, wird er nur
scheinbar unter Kontrolle kommen, aber dann wieder nach außen streben. Auch
durch Atemregulierung kommt der Geist zur Ruhe, aber er bleibt nur ruhig,
solange der Atem reguliert wird. Wenn das normale Atmen fortgesetzt wird,
gerät der Geist auch wieder in Bewegung und wandert umher, angetrieben von
alten Neigungen. Der Ursprung des Geistes ist der gleiche wie der Ursprung
des Atems. Gedanken sind das Wesen des Geistes. Der Gedanke "Ich"
ist der erste Gedanke im Geist, und daher entspringt das Ego und auch der
Atem; daher: wenn der Atem reguliert wird, wird der Geist still, und wenn
der Geist still wird, kommt auch der Atem zur Ruhe. Im Tiefschlaf kommt der
Atem nicht zum Stillstand, obwohl der Geist still wird. Das geschieht durch
den Willen Gottes, um den Körper zu erhalten, und damit man ihn nicht für
tot hält. Im Wachzustand und im Samadhi ist der Atem unter Kontrolle, wenn
der Geist still ist. Atem ist die grobstoffliche Form des Geistes. Bis zum
Zeitpunkt des Todes hält der Geist den Atem im Körper, und wenn der Körper
stirbt, nimmt der Geist den Atem mit sich. Deshalb ist die Übung der
Atemregulierung nur eine Hilfe, um den Geist zu beruhigen (manonigraha);
aber der Geist wird durch sie nicht aufgelöst (manonasa)
So wie die Übung der Atemregulierung sind die Meditation über die
Gestalt Gottes, das Wiederholen von Mantras, die Einschränkung des Essens
usw. lediglich Hilfen, um den Geist zu beruhigen.
Durch Meditation über die Gestalt Gottes und durch das Wiederholen von
Mantras wird der Geist einzielig. Der Geist wandert gewöhnlich ständig
umher. Wenn man einem Elefanten eine Kette gibt, dann greift er mit seinem
Rüssel nur nach der Kette und nach nichts anderem. So ist es auch mit dem
Geist: Wenn er mit einem Namen oder einer Form beschäftigt ist, dann hält
er sich nur daran fest. Wenn sich der Geist in Form von zahllosen Gedanken
ausbreitet, dann verliert jeder Gedanke an Kraft, aber wenn sich die
Gedanken auflösen, wird der Geist zielgerichtet und stark - für einen
solchen Geist ist Selbsterforschung einfach. Von all diesen einschränkenden
Regeln ist die Einnahme von sattva-haftem Essen (milde, vegetarische Kost)
in gemäßigten Mengen die beste. Wenn man diese Regel beachtet, dann
verstärkt sich die sattva-hafte (klare, ruhige) Eigenschaft des Geistes,
und das ist hilfreich für die Selbsterforschung.
13. Die noch vorhandenen Eindrücke (Gedanken) von
Objekten bewegen sich wie Wellen auf dein Ozean. Wann werden sie endlich
zur Ruhe kommen?
Wenn die Meditation über das Selbst tiefer und intensiver wird, werden
die Gedanken aufgelöst.
14. Ist es überhaupt möglich, diese uralten, noch
vorhandenen Neigungen aufzulösen und als das reine Sein zu verbleiben?
Ohne dem Zweifel "Ist es möglich oder nicht?" nachzugeben,
sollte man beharrlich an der Meditation über das Selbst festhalten. Selbst
wenn man ein großer Sünder sein sollte, darf man sich keine Sorgen machen
und jammern "Oh ich bin ein Sünder, wie kann ich jemals gerettet
werden?", sondern man sollte den Gedanken "Ich bin ein
Sünder" vollständig aufgeben und sich ganz in die Meditation auf das
Selbst vertiefen, dann ist das Gelingen gewiss. Es gibt keine zwei Geiste
(engl. minds) - einen guten und einen bösen, es gibt nur einen Geist. Die
bleibenden Eindrücke sind zweierlei Art - günstig oder ungünstig. Wenn sich
der Geist unter dem Einfluss der günstigen Eindrücke befindet, dann wird er
als gut bezeichnet, wenn er unter dem Einfluss der ungünstigen Eindrücke
steht, dann bezeichnet man ihn als böse.
Man sollte sich nicht unnötig mit weltlichen Objekten und den
Angelegenheiten anderer Menschen beschäftigen. Zuneigung und Abneigung,
Liebe* und Hass sollten gleichermaßen vermieden werden, selbst schlechte
Menschen sollte man nicht hassen. Alles was man anderen gibt, gibt man im
Grunde sich selbst. Wer würde da nicht mit Freude geben wenn man diese
Wahrheit versteht? Wenn das Ich aufsteigt dann steigt alles auf, und wenn
man selbst ruhig wird, dann wird alles ruhig. Je demütiger wir sind, desto
besser ist es für uns. Wenn der Geist zur Ruhe gekommen ist, kann man
überall leben.
* gemeint ist die duale, egohafte Liebe als Gegensatz zum Hass; nicht
zu verwechseln mit der göttlichen Liebe der Liebe zum Sein
15. Wie lange sollte die Selbsterforschung praktiziert
werden?
So lange es noch Eindrücke von Objekten im Geist gibt, so lange ist die
Erforschung "Wer bin ich?" notwendig. Wenn Gedanken aufsteigen,
sollten sie sofort am Ort ihres Entstehens durch die Erforschung
wahrgenommen und aufgelöst werden. Solange es noch Feinde in der Festung
gibt, werden sie weiterhin herausstürmen. Werden sie aber alle sofort
erkannt und getötet sobald sie sich zeigen, dann wird die Festung in unsere
Hände fallen. Man ist also erst dann am Ziel, wenn man nach
ununterbrochener Kontemplation über das Selbst dieses verwirklicht hat.
16. Was ist das Wesen des Selbstes?
Das Selbst ist das Einzige, was in Wahrheit existiert. Die Welt, die
individuelle Seele und Gott sind nur Erscheinungen im Selbst so wie Silber
im Perlmutt. Diese drei erscheinen zur gleichen Zeit und verschwinden zur
gleichen Zeit. Dort wo das Selbst ist, gibt es absolut keinen Ich-Gedanken.
Das wird als Stille bezeichnet Das Selbst ist die Welt, das Selbst ist
"Ich", das Selbst ist Gott alles ist Shiva, das Selbst.
17. Ist nicht alles das Werk Gottes?
Die Sonne geht ohne Wunsch, ohne Absicht und ohne Mühe auf, und durch
ihre bloße Gegenwart strahlt der Sonnenstein ihren Glanz zurück, erblüht
der Lotus, verdampft das Wasser und die Menschen erfüllen ihre
verschiedenen Aufgaben, um dann wieder zu ruhen. So wie sich in der Nähe
des Magnetes die Nadel bewegt so geschieht es durch die bloße Gegenwart
Gottes, dass die Seelen, die von den dreifachen (kosmischen) Funktionen
oder der fünffachen göttlichen Aktivität beherrscht werden, ihren
Tätigkeiten nachgehen und dann wieder ruhen; alles entsprechend ihrem
Karma. So wie die weltlichen Handlungen die Sonne nicht berühren oder die
guten und schlechten Eigenschaften der Objekte den alles durchdringenden
Raum nicht berühren, so hat Gott keine Absicht, und kein Karma bleibt an
ihm haften.
18. Wer ist der Größte unter den Devotees?
Der, der sich ganz dem Selbst, welches Gott ist, hingegeben hat, ist der
größte Devotee. Sich selbst an Gott zu übergeben bedeutet, ständig im
Selbst zu verweilen, ohne irgendwelchen anderen Gedanken als denen an das
Selbst Raum zu geben. Alle Lasten, die wir Gott übergeben, trägt er für
uns. Die höchste Kraft Gottes bewegt alle Dinge. Warum also sollten wir uns
ständig Sorgen machen was getan werden sollte und was nicht anstatt uns auf
diese Kraft zu verlassen? Wir wissen, dass der Zug alle Lasten trägt. Warum
sollten wir dann noch unser Gepäck auf dem Kopf tragen, anstatt es im Zug
abzulegen und uns leicht zu fühlen?
19. Was ist Nicht-Verhaftung?
Nicht-Verhaftung bedeutet, alle aufsteigenden Gedanken direkt am Ort
ihres Ursprunges restlos aufzulösen.
So wie der Perlentaucher sich einen Stein um die Hüfte bindet zum
Meeresgrund sinkt und dort die Perlen findet, so sollte jeder von uns mit
Nicht-Verhaftung ausgestattet sein, in sich selbst hineintauchen und die
Perle des Selbst entdecken.
20. Ist es nicht möglich, dass Gott oder der Guru die
Befreiung der Seele bewirkt?
Gott und der Guru zeigen einem nur den Weg zur Befreiung, sie bringen
die Seele nicht selbst in den Zustand der Befreiung. Gott und Guru sind in
Wahrheit nicht verschieden. So wie die Beute aus den Fängen des Tigers
nicht entkommen kann, so werden jene, auf die der gnädige Blick des
Meisters fällt, von ihm gerettet werden und niemals verloren gehen.
Trotzdem muss jeder mit seiner eigenen Bemühung den von Gott oder dem Guru
gezeigten Weg gehen und Befreiung erlangen. Man kann sich nur mit dem
eigenen Auge des Wissens selbst erkennen, und nicht mit dem einer anderen
Person. Braucht Rama etwa die Hilfe eines Spiegels um zu wissen dass er
Rama ist?
21. Ist es für jemanden, der nach Befreiung strebt, notwendig,
die inneren Zusammenhänge, die Bedeutung und das Wesen der verschiedenen
tattvas* zu erforschen?
Wenn man Abfall wegwirft, braucht man nicht nachzusehen, woraus er im
Einzelnen besteht. Ebenso braucht jemand, der das Selbst verwirklichen
will, nicht die Anzahl der tattvas zu zählen oder sich mit ihren Merkmalen
zu beschäftigen. Er sollte stattdessen die tattvas, die das Selbst
verhüllen, vollständig zurückweisen. Die Welt sollte als Traum angesehen
werden.
* Die tattvas sind de Grundprinzipien der Schöpfung z.B. die grob-
und feinstofflichen Elemente, die Sinnesorgane, das Denken usw.
22. Was ist der Unterschied zwischen Wachzustand und
Traum?
Der Wachzustand ist länger als der Traumzustand, abgesehen davon gibt es
keinen Unterschied. So wie die Geschehnisse des Wachzustandes uns als
wirklich erscheinen während wir wach sind, so erscheinen uns die
Geschehnisse im Traum als wirklich, während wir träumen. Im Traum nimmt der
Geist einen anderen Körper an. Sowohl im Wachzustand als auch im Traum erscheinen
Gedanken, Namen und Formen gleichzeitig.
23. Hat Bücherlesen irgend einen Nutzen für
diejenigen, die sich nach Befreiung sehnen?
Es ist die übereinstimmende Lehre aller Schriften, dass der Geist zur
Ruhe kommen muss, um Befreiung zu erlangen. Wenn man dies verstanden hat,
dann ist endloses Lesen nicht mehr nötig. Um den Geist zu beruhigen,
braucht man nur in sich nach dem eigenen Selbst zu suchen. Wie könnte diese
Suche in Büchern geschehen? Man muss sein eigenes Selbst mit dem Auge der
Weisheit erkennen. Das Selbst ist innerhalb der fünf Hüllen*, aber Bücher
sind außerhalb von ihnen. Da man nach dem Selbst forschen muss indem man
die fünf Hüllen verwirft, ist es vergeblich, es in Büchern zu suchen. Es
wird die Zeit kommen, wo man alles vergessen muss, was man gelernt hat.
* Laut der Vedanta-Lehre wird das Selbst von fünf Hüllen (koshas)
umhüllt. Die erste, äußerste Hülle ist der grobstoffliche Körper auch
Nahrungshülle genannt. Die zweite Hülle ist der feinstoffliche Körper oder
die Vitalhülle, auch Atem genannt, die dem Körper und dem Geist Leben
verleiht und beide miteinander verbindet. Die dritte ist die Hülle des
Denkens, welche die Sinneseindrücke aufnimmt. Die vierte ist die Hülle der
Intelligenz, sie beinhaltet unter anderem die Entscheidungsfähigkeit. Die
fünfte ist die Hülle der Seligkeit in der sich die Seligkeit des Selbst
bereits wiederspiegelt, aber in der das wahre Sein noch nicht verwirklicht
ist.
24. Was ist Glück?
Glück ist das wahre Wesen des Selbstes; Glück und Selbst sind nicht
verschieden. Es gibt kein Glück in irgend einem Objekt der Welt. Aufgrund
unserer Unwissenheit glauben wir, dass uns materielle Dinge, äußere
Umstände oder Anerkennung und Erfolg glücklich machen würden. Wenn der
Geist nach außen geht, erfährt er Leiden. In Wirklichkeit kehrt er, wenn
seine Wünsche erfüllt werden, zu seinem Ursprung zurück und erfreut sich
des Glückes, weiches das Selbst ist Ähnlich ist es in den Zuständen des
Schlafes, des Samadhi, der Ohnmacht, und wenn ein Wunsch erfüllt wird oder
etwas Unerwünschtes beseitigt wird - dann richtet sich der Geist nach innen
und erfreut sich des reinen Selbst-Glückes. Und so bewegt sich der Geist
ohne Unterlass aus dem Selbst heraus und kehrt wieder zu ihm zurück. Der
Schatten unter einem Baum ist angenehm; draußen in der Sonne ist es sengend
heiß. Wenn man aus der heißen Sonne in den Schatten kommt fühlt man die
angenehme Abkühlung. Jemand der ständig von der Sonne in den Schatten und
wieder zurück geht ist ein Dummkopf. Ein weiser Mann bleibt immer im
Schatten.
Ganz ähnlich verlässt der Geist eines Menschen, der die Wahrheit kennt,
Brahman niemals. Der Geist eines Unwissenden hingegen ist mit der Weit
beschäftigt, erfährt dadurch Leiden, und kehrt nur für kurze Zeit zu
Brahman zurück, um dort Glück zu erfahren. Das was als Weit bezeichnet wird
besteht in Wirklichkeit nur aus Gedanken. Wenn die Welt verschwindet, das
heißt wenn es keine Gedanken gibt, dann erfährt der Geist Glück, und wenn
die Welt wieder auftaucht, dann erfährt er Leiden.
25. Was ist "Weisheits-Einsicht?" (jnana
drshti)?
In der Stille zu verbleiben wird als "Weisheits-Einsicht"
bezeichnet. Still zu bleiben bedeutet, den Geist im Selbst aufgehen zu
lassen. Telepathie, Hellsehen und das Wissen über Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft haben nichts mit "Weisheits-Einsicht" zu tun.
26. Was ist die Beziehung zwischen Wunschlosigkeit und
Weisheit?
Wunschlosigkeit ist Weisheit. Es gibt keinen Unterschied zwischen den
beiden, sie sind ein und dasselbe.
Wunschlosigkeit bedeutet, den Geist keinerlei Objekten mehr zuzuwenden.
Weisheit bedeutet, dass keine Objekte im Bewusstsein erscheinen, denen man
nachgeht. In anderen Worten: Nichts anderes als das Selbst zu suchen,
bedeutet Nicht-Anhaften oder Wunschlosigkeit. Sich nicht vom Selbst
abzuwenden ist Weisheit.
27. Was ist der Unterschied zwischen Erforschung und
Meditation?
Bei der Erforschung lässt man den Geist im Selbst verweilen. Bei der
Meditation kontempliert man über das eigene Selbst, welches Brahman,
Sein-Bewusstsein-Seligkeit, ist.
28. Was ist Befreiung?
Befreiung ist, das Wesen des gebundenen Ichs zu ergründen und sein
eigenes wahres Wesen zu verwirklichen.
SRI RAMANARPANAM ASTU
Deutsche Übersetzung: Kai Schönefeld,
Volker Gausrnann
Der Weise vom Berge Arunachala pflegte
"Suchende" mit der Suchfrage "Wer bin ich?" auf den Weg
nach innen zu führen.
Im Folgenden werden wenige, aber zentrale Frage-Antwortbeispiele gegeben.
Sie stammen aus dem Buch "Ramana Maharshi - Gespräche des Weisen
vom Berge Arunachala" - Ansata-Verlag.
Ein junger Mann fragte: Die Buddhisten behaupten, daß das
"ich" unwirklich sei. Andere behaupten, man müsse über den
"ich"-Gedanken hinausgehen und den Zustand des "ICH"
erreichen. Was ist das Richtige?
Maharchi: Man nimmt an, daß es zwei verschiedene Ich gibt: das niedere,
vergängliche, in dem wir alle leben, und das höhere, wahre, das
verwirklicht werden soll. Im Schlaf ist man sich seiner selbst nicht
bewußt. Erst nach dem Erwachen weiß man, daß man geschlafen hat, nicht aber
im Schlaf, wo es eine Differenzierung nicht gibt. Erst wenn man in das
Körperbewußtsein eingetreten ist, gibt es solche unterschiedlichen Zustände
wie Wachen, Träumen und Schlafen, die sich auf das Körper-"ich"
beziehen. Doch gerade dieses Bewußtsein "Ich bin der Körper", in
dem wir alle leben, hat einen Anfang und somit ein Ende. Was aber liegt ihm
zugrunde? Woher kommt dieses "ich"? Wer ist dieses
"ich"? Wer bin ich? Suchen Sie und finden Sie den Ursprung des
"ich" - dann erleben Sie den Zustand des vollkommenen Seins. ....
Der Tatbestand ist der, daß der Mensch sich als begrenzt ansieht;
dadurch entsteht die Schwierigkeit. Diese Vorstellung ist falsch. Er kann
es selbst ausprobieren: Im Schlaf war keine Welt da, kein begrenztes
"ich" und kein Leid. Irgend etwas wacht aus diesem glücklichen
Zustand auf und sagt "ich". Diesem "ich" erscheint die
Welt. Selbst nur ein Pünktchen in der Welt, wünscht es sich mehr zu sein
und gerät dabei in Schwierigkeiten. Wie glücklich war der Mensch vor dem
Aufsteigen des "ich". ...
Der Geist ist nur eine Projektion aus dem Selbst, die im Wachzustand
erscheint. Im Tiefschlaf erzählt sie nicht, wessen Sohn Sie sind und
dergleichen. Sowie sie erwachen, behaupten Sie, der und der zu sein,
erkennen die Welt usw. . Die Welt ist nur, was wahrgenommen wird. Zu wem
gehört das Auge, das sie sieht? Es gehört dem "ich" an, welches
periodisch aufsteigt und absinkt (Wechsel zwischen Tiefschlaf und
"Wachbewusstsein"- Anmerkung des Zitierenden). Sie aber sind
immer da. So ist also Das, was jenseits des "ich" ist, das Reine
Bewußtsein, das Selbst. " ...
Das, was einen Anfang hat, muß auch enden. Nur die Verwirklichung des
ewig gegenwärtigen Reinen Bewußtseins ist von Dauer. Es ist tatsächlich
immer bei uns. Jeder weiß: Ich bin! Niemand kann sein eigenes Dasein
verleugnen! Der Mensch im Schlaf ist seiner selbst nicht gewahr, während er
es im Wachen ist; er ist aber immer die gleiche Person; es hat sich nichts
an ihm geändert. Im tiefen Schlaf war er nur seines Körpers nicht gewahr,
er war also ohne Körper-Bewußtsein. Der Unterschied liegt also im Auftauchen
eines Körper-Bewußtseins, nicht in irgend einer Veränderung des Wahren,
Reinen Bewußtseins. Körper und Körper-Bewußtsein entstehen gemeinsam und
versinken zusammen. All dies läuft darauf hinaus, daß es im Tiefschlaf
keine Beschränkungen gibt, während sie im Wachzustand da sind. Diese
Beschränkungen bewirken Gebundenheit; das Gefühl, "der Körper bin
ich" ist der Irrtum. Diese falsche "ich"-Gefühl muß
verschwinden; was ist, muß immer sein. Was neu erscheint, geht auch wieder
verloren. Vergleichen Sie Wachzustand und Tiefschlaf: im einen erscheint
der Körper, im anderen nicht. Das Reine Bewußtsein war vor dem Körper da
und wird ihn überdauern. Tatsächlich gibt es niemanden, der nicht sagt:
"Ich bin". Die Ursache allen Unheils ist die irrige Vorstellung:
"Ich bin der Körper"; sie muß fallengelassen werden. Das ist
Verwirklichung. Verwirklichung besteht weder im Erwerb einer neuen
Fähigkeit, noch ist sie eine solche. Sie ist nur die Beseitigung aller
Irrtümer.
....
Jedermann kennt es; man ist sich nur nicht darüber klar. Sie sind immer.
Dieses rein Seiende ist das Selbst. "Ich bin" ist Gottes Name.
Von allen Definitionen Gottes ist keine so genau wie der biblische
Ausspruch im Exodus, Kap.3.14: "Ich bin, der Ich bin". Das
Absolute Sein ist "Das, was ist". Es ist das Selbst.
....
Maharshi: Sind Sie in der Welt, oder ist die Welt in Ihnen? Frager: Ich
verstehe nicht. Die Welt ist sicherlich um mich herum. Maharshi: Sie
sprechen von der Welt und dem, was in ihr geschieht. Das sind nur ihre
Vorstellungen. Die Vorstellungen sind im Geist, und der ist in Ihnen. Daher
ist auch die Welt in Ihnen.
Frager: Da komme ich nicht mit. Selbst wenn ich nicht an die Welt denke,
ist sie doch da.
Maharshi: Wollen Sie damit sagen, daß die Welt vom Geist getrennt sei und in
dessen Abwesenheit existieren könne?
Frager: Ja.
Maharshi: Existiert die Welt auch in Ihrem Tiefschlaf?
Frager: Ja.
Maharshi: Sehen Sie sie dann?
Frager: Nein, ich nicht. Aber andere, die wach sind, sehen sie.
Maharshi: Sind Sie dieser anderen Personen in Ihrem Schlaf gewahr, oder
werden Sie erst jetzt (im Wachzustand) der anderen gewahr?
Frager: In meinem Wachzustand.
Maharshi: So sprechen Sie also von dem Wissen in Ihrem Wachzustand und
nicht von Ihrer Erfahrung im Schlaf. Sie erkennen die Existenz der Welt in
Ihren Wach- und Traumzuständen an, die vom Geist hervorgebracht werden. Im
Schlaf hat sich der Geist zurückgezogen, und die Welt ist nicht da. Sie
wird wieder offenbar, wenn Sie aufwachen. Das "ich" identifiziert
sich mit dem Körper und sieht die Welt. So ist die Welt eine geistige
Schöpfung.
Frager: Wie kann das sein?
Maharshi: Schaffen Sie sich nicht eine Welt im Traum? Der Wachzustand ist
auch nur ein ausgedehnter Traum. Es muß einen geben, der die verschiedenen
Erfahrungen sieht. Wer ist das? Ist es der Körper?
Frager: Das kann nicht sein.
Maharshi: Der Geist?
Frager: Es muß wohl so sein.
Maharshi: Aber Sie existieren auch in Abwesenheit des Geistes.
Frager: Wie das?
Maharshi: Im tiefen Schlaf.
Frager: Ich weiß nicht, ob ich dann bin.
Maharshi: Wenn Sie dann nicht existieren würden, wie wollen Sie sich an das
erinnern, was Sie gestern erlebt haben? Gab es eine Unterbrechung in der
Kontinuität des Ich während des Schlafes?
Frager: Vielleicht.
Maharshi: Wenn es das gäbe, dann könnte ein "Müller" als
"Maier" aufwachen.
Wie wird die Identität des Individuums dann aufrecht erhalten?
Frager: Ich weiß es nicht.
Maharshi: Wenn es Ihnen nicht klar ist, betrachten Sie es einmal von der
anderen Seite. Sie sagen "ich schlief gut" und "ich fühle
mich erfrischt nach tiefem Schlaf". Also haben Sie den Schlaf
erfahren. Dasjenige, was ihn erfahren hat, identifiziert sich jetzt mit dem
"ich" des Sprechenden. Dieses Ich muß also auch im Schlaf
dagewesen sein.
Frager: Ja.
Maharshi: Das Ich war also im Schlaf da. Wenn die Welt auch da war, sagte
sie dann, daß sie existierte?
Frager: Nein. Aber sie sagt mir jetzt, daß sie existiert. Selbst wenn ich
ihre Existenz bestreiten wollte, könnte ich meinen Fuß an einem Stein
stoßen und ihn verletzen. Die Verletzung beweist den Stein und somit die
Existenz der Welt.
Maharshi: Genau. Der Stein verletzt den Fuß. Sagt der Fuß, daß ein Stein da
ist?
Frager: Nein - ich.
Maharshi: Wer ist dieses "ich"? Wie wir vorhin gesehen haben,
kann es weder der Körper noch der Geist sein. Das Ich ist es, das die
Zustände von Wachen, Träumen und Tiefschlaf erfährt. Die drei Zustände sind
Veränderungen, die das Individuum nicht berühren. Die Erfahrung gleicht
Bildern, die über eine Leinwand in einem Kino dahinziehen: Erscheinen und
Verschwinden der Bilder berührt die Leinwand nicht. Ebenso wechseln die
drei Zustände ab ohne das Selbst zu berühren.
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